Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut

Die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut – Modellregion für Mitteleuropa und Geburtsstätte des Konzepts der Kulturlandschaft

The Landscape of the Central Middle Ages on the Rivers Saale and Unstrut – Model Region for Central Europe and Birthplace of the Cultural Landscape Concept

Der zusammen mit dem Welterbeantrag eingereichte offizielle englische Text findet sich unter https://whc.unesco.org/document/165549

Fußballvergleiche wirken – vor allem aus dem Mund von Politikern – anbiedernd und populistisch. Dennoch: So wie die englischen Fans 1996 anlässlich der Europameisterschaft im eigenen Land „football’s coming home” sangen, wäre man berechtigt, im Fall einer Eintragung der Kulturlandschaft an Saale und Unstrut in die Liste des Welterbes festzustellen: „cultural landscape’s coming home”. Die UNESCO schuf zwar 1992 das erste internationale Instrument zur Würdigung und zum Schutz von Kulturlandschaften. Diese werden verstanden als Schnittstelle zwischen Natur und Kultur, in der sich das Netz der historischen Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt materiell und immateriell ausdrückt (Rössler 2006, S. 334f.). Doch die Grundsteine für dieses Konzept wurden vor etwas mehr als hundert Jahren in der geistigen Auseinandersetzung mit und unter dem Einfluss der Landschaft an Saale und Unstrut gelegt. Dazu mehr im zweiten Teil dieser Ausführungen, zuerst soll die Bedeutung der heute überlieferten Kulturlandschaft in diesem Raum gewürdigt werden.

Kulturlandschaft des hochmittelalterlichen Aufbruchs

Das Hochmittelalter in Europa ist die Zeit eines Aufbruchs, eines „take off”. Goff (1992, S. 17), für Deutschland Haverkamp (1993). Ursächlich hierfür ist ein Bevölkerungswachstum, das sich neben einem verbesserten Agrarbetriebssystem sicherlich auch dem hochmittelalterlichen Klimaoptimum verdankt. Landschaftswirksam wird dieser Aufbruch vor allem im Städtewesen, der Binnenkolonisation und der Territorialisierung, wechselseitig auf einander bezogene, Raum und Gesellschaft differenzierende Prozesse. Raumstrukturell erfolgt der Aufbruch im gesamten Kerneuropa in zwei Richtungen, in die Expansion nach Außen und in die Verdichtung nach Innen.

Das Antragsgebiet stellt in historisch-kulturlandschaftlicher Sicht die natürliche, weil kürzeste und durch die Saale vorgezeichnete Verbindung zweier großer Beckenlandschaften dar. Das Antragsgebiet „Der Naumburger Dom und die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut” mit Kern- und Pufferzone. Die westliche, das Thüringer Becken, zählt in siedlungsgeschichtlicher Sicht zum Altsiedelland, die östliche, die Leipziger Tieflandsbucht, zum Kolonisationsland. Die West-Ost-Verbindung durch diese Zone war die wichtigste des Mittelalters in Mitteleuropa, auf welche im Antragsgebiet noch eine bedeutende aus dem östlichen Süddeutschland traf. Der Raum wurde im Frühmittelalter zur Kontaktzone zwischen slawischer und deutscher Siedlung, in der der stärkste Machtfaktor, das fränkisch-deutsche Reich, seinen Einflussbereich schon seit Karl dem Großen nach Osten zu verschieben begann. Diesen Vorgang, der sich im Hochmittelalter fortsetzte, als Ostsiedlung oder gar Ostkolonisation zu beschreiben, ist germanozentrisch und greift zu kurz. Er ist Teil eines europaweiten Transformationsprozesses (Gringmuth-Dallmer 2006, S. 100), der von den Zentren zu den Rändern führte, aber auch in den inneren Peripherien wirkte. Mit diesem Prozess ist eine Bevölkerungsbewegung wie eine weitgehende Umwandlung des Siedlungsmusters wie der herrschaftlichen Strukturen verbunden. Die Instrumente, die zur Anwendung kamen, wie Stadtgründung, Anlage planmäßiger Dörfer und Fluren, Burgenbau und Klostergründung sind fast überall in Europa die gleichen. Es ist kaum übertrieben festzustellen: Never again has Europe seen such cultural und institutional uniformity as at that time (Simms 1988, S. 291).

Der Raum um den Zusammenfluss von Saale und Unstrut liegt nun genau in der Zone des Übergangs von innerer Verdichtung und äußerer Expansion. In ihm lassen sich alle die genannten Prozesse wie im Brennglas verfolgen. Natürlich lief dies nicht innerhalb weniger Jahre, sondern in einem kulturlandschaftlichen Aushandlungsprozess über drei Jahrhunderte. Dieses „Aushandeln”, also die Suche nach dem für den jeweiligen Akteur besten Standort, zeigt sich markant etwa bei der Verlagerung des Bischofssitzes von Zeitz (Bistum dort 968 gegründet) nach Naumburg 1028, der Umwandlung etwa von Burg Goseck in ein Benediktinerkloster um 1050, oder die rasche Verlegung des 1132 in Schmölln eingerichteten Zisterzienserklosters nach Pforte 1137. Ebenso unter diesem Begriff subsumiert werden kann die im gesamten Zeitraum andauernde Konkurrenz regionaler Herrschaftsträger, die sich damit auch einen kulturlandschaftlichen Wettstreit um Menschen und Flächen lieferten.

Insofern haben wir eine Modellregion hochmittelalterlicher Raumorganisation vor uns, in der alle Kräfte tätig waren, die die Siedlungsentwicklung wie auch die politischen und kirchlichen Organisationsstrukturen zu begründen und zu steuern vermochten. Auf engstem Raum wird hier das gesamte Instrumentarium mittelalterlicher Landerschließung, Landnutzung und herrschaftlicher Durchdringung deutlich. Dazu kommt auf der Zeitachse der typische Wandel von der Königsmacht über den Einsatz kirchlicher Institutionen als regionales Herrschafts- und Erschließungsinstrument, über das Aufkommen regionaler konkurrierender Mächte bei gleichzeitigem Rückzug der königlichen Macht bis zur endgültigen Durchsetzung der stärksten Regionalmacht. Dies alles konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen dem späten 10. und dem späten 13. Jahrhundert. Diese Prozesse sind charakteristisch für das zentrale Europa, aber es gibt sonst kaum eine Region, in der man die angesprochenen Vorgänge auf so engem Raum und in solcher Dichte und Qualität ihrer baulichen und kulturlandschaftlichen Zeugen nachvollziehen kann, wie in diesem Gebiet.

Nun ist es das Kennzeichen fast aller Kulturlandschaften der Welt, dass sie sich mehr oder weniger dynamisch fortentwickeln. Sie setzen sich aus vielen Einzelelementen unterschiedlicher Wertigkeit und Dichte aus verschiedenen Zeitschichten zusammen, die aufeinander aufbauen und miteinander verschränkt sind. Eine historische Zeitschicht, die heute noch das Gesamtbild der Kulturlandschaft prägen oder gar dominieren soll, muss daher von sehr hoher Aussagekraft sein. Selbstverständlich hat sich auch im Antragsgebiet die Kulturlandschaft seit dem Hochmittelalter weiterentwickelt, sind neue landschaftswirksame Strukturen hinzu getreten. Dennoch blieb das im Hochmittelalter grundgelegte kulturlandschaftliche Muster stabil, verfeinerte sich allenfalls und forderte in späteren Zeiten immer wieder Rückbezüge auf diese prägende Epoche geradezu heraus. Dass diese Bezüge häufig ihre Schattenseiten hatten und das Mittelalter national und gar nationalistisch instrumentalisiert wurde, stellt Ulbricht (1994) heraus. Die mittelalterlichen Elemente der Kulturlandschaft an Saale und Unstrut sind immer noch die identitätsstiftenden des Raums, auch wenn sie umgeformt und neu bewertet wurden.

Die hochmittelalterlichen Strukturen lassen sich heute noch in ihren baulichen und landschaftlichen Zeugen in sehr hoher Authentizität deswegen wahrnehmen, weil für die seit dem Spätmittelalter dominierende Territorialmacht der Wettiner dieser Raum Peripherie blieb, während er zuvor 300 Jahre lange eine dynamische, umstrittene und für die ausschlaggebenden Akteure zentrale Rolle gespielt hatte. So konnte die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut in einzigartiger Weise ihre Ausdruckskraft bewahren. Gut vergleichen lassen sich diese Vorgänge auch im Umfeld anderer ottonischer Bistumsgründungen, so etwa beim 1007 von Heinrich II. gegründeten Bamberg, dort aber liegen die baulichen Zeugen wesentlich weiter voneinander entfernt und sind aufgrund der länger florierenden Entwicklung dieses Hochstifts stärker überformt.

Kulturlandschaften sind mit ihrer zeitlichen Tiefenschichtung und der Vielfalt ihrer räumlichen Strukturen höchst komplexe Systeme. Vollständig erfassbar können sie nicht sein. Man versucht daher die Komplexität zu reduzieren, indem man die Spuren untersucht, die bestimmte Funktionen menschlichen Wirkens im Raum hinterlassen haben, wie das Siedeln, die Landwirtschaft, der Verkehr oder die Herrschafts- und Religionsausübung. Dies ist ein gängiger methodischer Ansatz zur Erfassung historischer Kulturlandschaften, der aber aufgrund seines durchaus erheblichen Aufwandes bisher eher kleinräumig zum Einsatz gelangte. Der Antragssteller führte eine solche aufwendige Inventarisation in den Jahren von 2008-2012 durch, wobei auf einer Gesamtfläche von etwa 167 km2 das bisher bundesweit größte zusammenhängende Gebiet in dieser Eindringtiefe untersucht wurde.

Die Durchgangs- und Brückenfunktion des Antragsgebiets, das deswegen in der älteren Literatur auch als „Saalepforte” bezeichnet wurde, führte zu einer Bündelung historisch hochrangiger Verkehrswege, die sich heute noch anhand zahlreicher kulturlandschaftlicher Relikte nachvollziehen lassen. Kleinräumig und auf das Antragsgebiet bezogen zeichnen sie und ihre Relikte die regionalen Zentren und ihre Verschiebung nach: Kulturlandschaft ist immer auch Ausdruck historischer Machtverhältnisse. Dass die auf lange Sicht bedeutsamsten Zentren des Raumes eben keineswegs im Machtvakuum entstanden, zeigen schon ihre Namen: Naumburg, als Numburgo 1028 ins Licht der Geschichte getreten, meint eben nichts anderes als „Neuenburg”, wobei die ebenso genannte, um 1090 gegründete Anlage über Freyburg tatsächlich als Burg im Sinne einer Bergfeste zu sehen ist, während das „-burg” in Naumburg noch eine frühstädtische Siedlung meint.

In welchen kulturlandschaftlichen Elementen und Strukturen drücken sich nun die Prozesse der hochmittelalterlichen Raumorganisation aus? Es ist nicht nur die Dichte – 720 erlebbare Elemente aus dem Hochmittelalter konnten festgestellt werden – oder die hohe geschichtliche und kunsthistorische Bedeutung, die einzelne von ihnen aufweisen. Es scheint vor allem das fast vollständige wie exemplarische Auftreten jener Elemente zu sein, die der mittelalterliche Mensch zur baulichen und landschaftlichen Strukturierung des Raumes unter den gegebenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen anwenden konnte. Einen außergewöhnlichen universellen Wert gewinnen sie über ihre Dichte, Vollständigkeit und den Grad ihrer Erhaltung.

Dies beginnt bei den Siedlungen. Nur in den seltensten Fällen stammen einzelne Elemente der Siedlungen selbst aus dem Hochmittelalter – fast immer dagegen ihr Grundriss und damit die räumlichen Grundstrukturen, die in den meisten Fällen hervorragend erhalten sind. Die beiden städtischen Siedlungen des Antragsgebiets, Naumburg und Freyburg, können exemplarisch für die beiden hochmittelalterlichen Stadtgründungsphasen der ottonisch-salischen und der staufischen Zeit stehen. So gliedert dies etwa Meckseper (1982) chronologisch, woraus sich aber auch eine typologische Differenzierung ableiten lässt, Stoob (1956) unterscheidet Mutterstädte (bis 1150) und Gründungstädte (1150-1250), womit zum zeitlichen ein struktureller Aspekt hinzutritt. Naumburg vertritt, wenn auch spät, den Typus der neu gegründeten ottonischen Bischofsstadt, die als erstes eigenständiges mitteleuropäisches Stadtmodell gewürdigt wurde (Herzog 1964). Dazu gehört zwingend der Dombezirk als Zentrum, der von einem „Kirchenkranz” mit St. Georg und St. Moritz gesäumt wird. Diese geistliche Stadt wurde sicher von Beginn an von einer Marktsiedlung begleitet, aus der die im Grundriss deutlich separierte Bürgerstadt erwuchs. Die Dreiheit von Domfreiheit, Ratsstadt und altstädtischen Vorstädten ist im Stadtgrundriss auch heute noch deutlich eingeschrieben. Zuletzt, wenn auch kritisch, was den Anteil des Mittelalters angeht Jestaedt (2007, S. 220). Die Stadtstruktur lässt sich deutlich wie selten als Ergebnis hochmittelalterlicher herrschaftlicher Standortentscheidungen interpretieren: dafür stehen die Verlegung des Bischofssitzes und die Umsetzung der Kaufleute von (Klein-)Jena hierher.

Freyburg, in dessen Namen das Schlagwort „Stadtluft macht frei” durchschimmert und der damit das typisch-modellhafte schon anzeigt Das „Freie”, symbolisch für alle städtischen Privilegien, bestimmt das Konzept der mittelalterlichen Stadt wesentlich, weswegen der Name „Freiburg” oder „Freistadt” über 100 mal in Europa vorkommt, wobei es sich in der Regel um Gründungsstädte mit regelhaften Grundriss handelt. Die wohl älteste Gründungsstadt Deutschlands, Freiburg i. Br. teilt ihren Namen mit Freyburg. In Frankreich, Italien und Spanien lauten die Entsprechungen „Villefranche”, „Francheville”, „Villafranca”, „Francavilla” „Vilafranca”., entspricht im Grundriss dem Typus der Gründungsstadt. Diese Städte wurden bewusst zur wirtschaftlichen Erschließung, aber auch zur strategischen Sicherung ihres jeweiligen Territoriums angelegt. Hier werden erstmals planerische Gesamtkonzepte im Stadtgrundriss deutlich. Seit dem 13. Jahrhundert ist dabei eine Tendenz zur geradlinigen Mauerführung und zu scharfkantigen Ecken (Meckseper 1982, S. 75) spürbar. Das um 1190 angelegte Freyburg stellt mit seinem Rastergrundriss, dem rechteckigen Marktplatz und dem nahezu quadratischen Umriss ein sehr frühes Beispiel dieses Modells dar.

Wenn auch die Talräume und Hochflächen des Antragsgebiets zum altbesiedelten Land zu zählen sind und ihre Siedlungen im Kern vor dem Hochmittelalter entstanden, so zeigen sie doch heute hervorragend erhaltene Dorfstrukturen, die erst in dieser Epoche geformt wurden. Sie weisen zwar noch nicht das klare, einheitliche und fast schon sterile Bild der ländlichen Siedlungen des im Osten anschließenden Gebiets der deutschen Ostsiedlung auf. Vielmehr sind sie Ausdruck der frühen deutsch-slawischen Kontaktzone. Wenn auch bei vielen Siedlungen ein planmäßiger Ansatz und damit der herrschaftliche Eingriff deutlich im Grundriss zu erkennen ist, so geben sie doch stärker über den Verlagerungs- und Aushandlungsprozess Auskunft, wie er für die gesamte Region im Aufbruch des Hochmittelalters typisch ist.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Dorf Flemmingen. Schon in seinem Namen zeigt es an, dass Bischof Udo nach 1130 hier in den Quellen als Holländer bezeichnete Menschen aus dem flandrischen oder niederländischen Raum planmäßig angesiedelt hatte, doch sie kamen nicht in eine siedlungsleere Einöde. Sie hatten sich mit den Bewohnern einer bereits bestehenden Siedlung zu arrangieren, was noch heute im Ortsgrundriss ablesbar ist. Das Dorf besteht aus einer hufeisenförmigen Anordnung von Höfen etwa in seiner Mitte, tangential schließt daran eine regelhafte straßendorfartige Aufreihung von weiteren Höfen an. Man wird daran die ältere slawische Kernsiedlung und die jüngere holländische Kolonie erkennen können. Zusammengeführt wurden die beiden Dorfteile in der Organisation der Flur, die in regelmäßige Langstreifen im aufkommenden System der Dreifelderwirtschaft gegliedert wurde. Die Straßendorfform findet sich auch bei Roßbach, der zweiten Holländersiedlung im direkten Umfeld Naumburgs.

Rundlinge in unterschiedlichen Formvarianten sind die auffälligste Ortsform in dieser Kontaktzone slawisch-deutscher Siedlung. Die rundliche Anordnung der Hofstätten, die zwischen Halbkreis und langgestreckter Hufeisenform alle möglichen Formen annehmen kann, geht möglicherweise auf slawische Traditionen zurück, wurde dann aber in einem herrschaftlich gelenkten Vorgang regularisiert. Nicht endgültig abgeschlossen ist die Diskussion, ob dies bereits in karolingisch-ottonischer Zeit geschah, so Nitz (1994, S. 163), oder ob es sich erst um hochmittelalterliche Regulierungen im Zuge der Einführung der Dreifelderwirtschaft handelt. Entweder wurden Vorgängersiedlungen neu geordnet, oder es wurden zwei oder mehr Dörfer in einer Flur vereinigt, wie dies am Beispiel von Großwilsdorf (mit Kleinwilsdorf) noch heute hervorragend nachvollziehbar ist. Weitere Dörfer mit gut erhaltenen Rundlingsstrukturen, zum Teil knapp außerhalb des Antragsgebiets gelegen, sind Punschrau, Ebersroda, Müncheroda oder Niedermöllern.

Regelhafte Ortsformen, historische Langstreifenfluren im Zelgensystem und die gesteuerte Integration alteingesessener, zugewanderter und angeworbener Bevölkerungsgruppen zeugen von planvollem Landesausbau, der nur durch tatkräftige Herrschaftsträger durchgeführt werden konnte. Leider verschwanden die historischen Flurstrukturen, zunächst im Zuge der preußischen Separation des 19. Jahrhunderts, dann durch die Kollektivierung in der ehemaligen DDR. Nach der Wende 1989 blieben die so entstandenen Großblockfluren bestehen, nur in den Randbereichen und insbesondere im Bereich der Talhänge überlebten ältere Parzellenmuster.

Gerade dort finden sich heute Weinberge und ehemalige Weinbergsstandorte, die zu den am besten baulich überlieferten historischen Rebanlagen Deutschlands zählen. In ihrer heutigen Ausprägung gehen sie auf die Frühe Neuzeit und das 19. Jahrhundert zurück, die Anbauflächen selbst sind aber seit dem Hochmittelalter mit Wein bestockt. Auch in der Weinbaugeschichte des Antragsgebiets lassen sich die Landnutzungskonzepte der mittelalterlichen Herrschaftsträger ablesen. Wie andernorts haben sich auch in der Pflege der Rebe besonders die Klöster Goseck, Pforte Zuletzt zusammenfassend referiert bei Fröhlich (2010, S. 69–89)., St. Georg und Zscheiplitz hervorgetan, aber auch die weltlichen Herrschaftsträger hatten ihren Anteil. Zu den Zisterziensern von Pforte gehörte der älteste nachzuweisende Weinberg im Gebiet, der aus Mitte des 12. Jh. genannte Köppelberg westlich des Klosters, der noch heute weinbaulich genutzt wird. Insbesondere die Schweigenberge bei Freyburg zählen zu den kulturlandschaftlich bedeutsamsten Weinbergen Deutschlands.

Schließlich geht auch die Wald-Feld-Verteilung des Gebiets in weiten Teilen auf die hochmittelalterliche Raumorganisation zurück. So ist dem Waldgebiet der „Neuen Göhle” noch im aktuellen Luftbild das deutliche Hineinschneiden der hochmittelalterlichen Rodungsfluren von Ebersroda und Schleberroda anzusehen (Kunde 1996, S. 34), Waldränder jedoch, die bis heute stabil blieben.

Teil der kulturlandschaftlichen Transformation des Hochmittelalters ist auch die Indienstnahme der Fließgewässer zur Energieerzeugung. Zu dieser „Agrarrevolution” wie zum Aufschwung der Städte gehört die Nutzung der Wasserkraft durch Mühlen. Kloster Pforte, in zisterziensischer Ideallage in einem fruchtbaren Tal, abseits der Siedlungen, aber in der Nähe eines nutzbaren Flusses, ist ein Musterbeispiel der geschickten Nutzung des Wassers. Schon der ersten Vita Bernhards wird die Anlage eines Kanals zum Betrieb einer Mühle in Clairvaux geschildert (Schich 2007, S. 175) und in diesem Sinne handelte auch die Pfortenser Zisterze. Eine Mühle mit Graben wird bereits 1138 kurz nach der Gründung des Klosters genannt, die „Kleine Saale”, unter Abt Adilold um 1180 angelegt, stellt eine für die damalige Zeit gewaltige wasserbauliche Maßnahme dar, die heute noch erhalten ist (Kunde 2003, S. 192f.)

Der mittelalterliche Aufbruch ist mit der Durchsetzung der Steinbauweise für die herrschaftlichen Bauten verbunden. Auch dies drückt sich noch heute im Landschaftsbild aus, nicht nur über die Bauten selbst, die aus den beiden gut geeigneten Materialien Muschelkalk und Buntsandstein errichtet wurden, sondern auch über die historischen Entnahmestellen, die Steinbrüche. In einigen Fällen wurden so freigelegte Felswände selbst zu Kunstobjekten umgestaltet wie im Blütengrund am Zusammenfluss von Saale und Unstrut, wenn auch erst in nachmittelalterlicher Zeit. Der enorme Steinbedarf drückt sich noch heute in flächigen Steinbrucharealen wie auf der Hochfläche im Muschelkalk westlich von Kleinjena oder eher punktuell bei Schönburg und im Kroppental im Buntsandstein.

Hier in diesem Gestein findet sich auch eines der eindrucksvollsten landschaftlichen Verkehrsrelikte aus dem Mittelalter. Ein tief in den Buntsandstein eingegrabener Hohlweg unterhalb der Schönburg markiert die nach der Bistumsverlagerung entstandene neue Trassenführung der Via Regia von Naumburg nach Leipzig. Die verschiedenen Äste dieser „Hohen Straße” werden in der Landschaft an den Hängen durch meist unter Wald gelegene, dichte Hohlwegbündel, auf der Hochfläche durch teils als Feldwege erhaltene Reststücke.

Am stärksten prägend in dieser Kulturlandschaft bis heute sind die Zeichen der Herrschaft. Burgen (Saaleck, Rudelsburg, Neuenburg, Schönburg), Klöster (Pforte, Zscheiplitz, Goseck) und Kirchen (Dom, Naumburger Stadtkirchen, St. Marien Freyburg) sind es, die als dicht gesetzte Landmarken schon früh als das offensichtliche Merkmal dieser Region erkannt wurden. Ihre Dichte ist im hohen Maß den natürlichen Voraussetzungen zu verdanken. Zum einen ist es die Brückenfunktion zwischen zwei Beckenlandschaften, die die Verkehrswege schon seit der Frühzeit bündelte, zum anderen ist es die Mündungssituation von Saale und Unstrut. Mündungsareale großer Flüsse haben in Räumen hoher politisch-kultureller Kontinuität kulturlandschaftliche Verdichtungen und Machtzentren mit hoher zeitlicher Stabilität hervorgebracht, wie etwa Lyon (Rhône-Saône), Mainz (Rhein-Main), Koblenz (Rhein-Mosel), aber auch der Zusammenfluss kleinerer Flüsse bedingte meist die Entstehung von regionalen Zentren, deren endgültiger Platz oft erst ausgehandelt werden musste, wie in unserem Fall zwischen Kleinjena und Naumburg in der Zeit um die Jahrtausendwende. Und schließlich boten die Täler, die über dem Tal erhobenen Terrassen und die Berge mit ihren durchweg steilen Hängen ideale Standorte für die herrschaftlichen Bauten der Zeit.

Insgesamt ist es aber das weitgehend noch ungestörte Zusammenwirken aller angesprochenen Elemente der Kulturlandschaft in einem eng umgrenzten Raum, in dem der Mensch das Angebot der Natur angenommen hat und ihr einen baulich und landschaftlich spezifisch hochmittelalterlichen Ausdruck verliehen hat. Mit seiner Dichte kann das Antragsgebiet als Modellregion für den hochmittelalterlichen Aufbruch Zentraleuropas stehen.

Geburtsstätte des Konzepts „Kulturlandschaft”

Um die Wende zum 20. Jahrhundert regte die Kulturlandschaft des Saale-Unstrut-Raums zwei Männer zu Überlegungen an, ohne die unsere heutige spezifische Beschäftigung mit der Kulturlandschaft als Ergebnis der Interaktion zwischen Menschen und ihrer Umwelt im Verlauf der Geschichte, die in bestimmten Fällen zu wertvollen, erhaltenswerten Zuständen führt, so kaum möglich gewesen wäre: Otto Schlüter
Otto Schlüter (1872-1957)
und Paul Schultze-Naumburg. Beide sind in Leben und Werk keineswegs unumstritten, der eine, Schultze-Naumburg (* in Almrich (im Antragsgebiet) 1869; † in Jena 1949), ab Mitte der 1920er Jahre als Wegbereiter nationalsozialistischer Kulturpolitik zugleich zutiefst verstrickt in ihren Rassenwahn, der andere, Schlüter (* 1872 in Witten/Ruhr; † 1959 in Halle (Saale)), zwar deutschnational eingestellt, aber unbelastet durch das „Dritte Reich”, geriet in Deutschland spätestens mit dem Paradigmenwechsel in der Geographie um 1968 disziplingeschichtlich weitgehend in Vergessenheit, dagegen nehmen internationale Standardwerke häufig Bezug auf ihn. Er steht dabei für die Begründung des Konzepts der Kulturlandschaft als materieller und visuell wahrnehmbarer Gestalt der Erdoberfläche, die durch den Menschen geschaffen wurde. Paul Schultze-Naumburg, Maler, Architekt und Publizist, ist als der wesentliche frühe Protagonist des Schutzgutes Kulturlandschaft zu würdigen.

Die englischsprachige Wikipedia ist in ihren Aritkeln zu „Otto Schlüter” und „cultural landscape” ziemlich deutlich: He is credited with creation of the term cultural landscape which is one of the turning point of geographical history. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/OttoSchl%C3%BCter; zuletzt abgerufen 05.02.2013 und http://en.wikipedia.org/wiki/Culturallandscape; zuletzt abgerufen 05.02.2013; beide Artikel berufen sich auf (Martin/James 1981, S. 177). Ganz so einfach ist der Sachverhalt nicht, der Begriff „historische Kulturlandschaft” im Sinne der menschlichen Umgestaltung der Erdoberfläche fand bereits spätestens 1885 Eingang in die Fachliteratur. Wohl erstmals bei Wimmer (1885, S. 70) in diesem Sinne verwendet. Aber Otto Schlüter war derjenige, der das Konzept der Kulturlandschaft als ein für mehrere Jahrzehnte tragfähiges Paradigma in die deutsche und indirekt über die Vermittlung durch Carl Ortwin Sauer in den 1920er Jahren auch in die englischsprachige Geographie einführte.

Bereits 1896 hatte Schlüter seine Dissertation über die Siedlungsentwicklung des unteren Unstruttales verfasst (Schlüter 1896). Einige Jahre später verfeinerte er seine Methodik und dehnte seinen Untersuchungsraum auf das damalige nordöstliche Thüringen aus, damit das gesamte Antragsgebiet einschließend. Dabei entwickelte er eine Typologie der städtischen und ländlichen Siedlungen des Raumes in ihrer Abhängigkeit von Verkehr und Bevölkerung, die in ihren Grundzügen heute noch gilt und die die Entwicklung der historisch-genetischen Siedlungsgeographie in Deutschland maßgeblich beförderte (Schlüter 1903). 1906 formulierte er dann in einem programmatischen Aufsatz, worum es der Geographie eigentlich zu gehen habe. Es sei die „sichtbare Kulturlandschaft”, deren Ausprägung entgegen dem durch Friedrich Ratzel geprägten Zeitgeist eben weniger den naturräumlichen Grundlagen, sondern dem Menschen selbst und den in seiner Geschichte wurzelnden Faktoren zu verdanken sei (Schlüter 1906, dazu Ehlers (2011). Kulturlandschaft entsteht für ihn durch alle Wirkungen, die jede Zeit und jede Kultur nach dem Maß ihrer Kräfte auf die Landschaft ausgeübt haben. Sie ist der geographische Ausdruck einer Kultur. Der geographische Ausdruck ist für ihn alles Sichtbare in der Landschaft. Untersucht wird das Gegenständliche, Greifbare. Die nicht sichtbaren geistigen Dinge [sind] aus dem Kreise der Forschungsgegenstände auszuscheiden, wichtig sind aber die Handlungen, Beweggründe und Zwecke, die als gestaltende Faktoren an Bedeutung eher gewinnen (Schlüter 1928, S. 391–392).

Die Schlütersche „Gegenstandsforschung”, die „Morphologie der Kulturlandschaft” beherrschte die deutsche Kulturgeographie bis in die 1960er Jahre, verlor dann aber im Zuge der theoretischen und methodologischen Wende des Faches rapide an Bedeutung. Allerdings diffundierte diese Auffassung von Kulturlandschaft in zahlreiche anwendungsorientierte Nachbardisziplinen wie Landschaftspflege, Kunstgeschichte oder Denkmalpflege (Gunzelmann 1987, S. 36–40) und wurde so – durchaus unbewusst oder unreflektiert – zur Basis des Kulturlandschaftsbegriffs der UNESCO. Schlüters Rolle als Begründer einer Kulturlandschaftsforschung (Denecke 2011), wie auch seine Rolle als Vermittler dieses Konzepts in die englischsprachige und internationale Geographie werden heute in zahlreichen aktuellen Lehrbüchern des Faches gewürdigt. Nur einige wenige Belege: Dikshit (2004, S. 79–82); Martin/Martin (2005, S. 175); Clifford et al. (2008, S. 288); Agnew/Duncan (2011, S. 77 u. 83). Denevan/Mathewson (2009, S. 46) rügen sogar ihre Kollegen, die den Kulturlandschaftsbegriff auf Carl O. Sauer zurückführen: Failure to read German may explain why so many Geographers have not given Otto Schlüter the credit he deserves for this idea.

In einem wesentlichen und letztlich fatalen Punkt unterschied sich der zweite hier zu nennende Hauptakteur, Paul Schultze-Naumburg von Otto Schlüter. Er betonte die Abhängigkeit des Charakters der Landschaft vom Volkscharakter seiner Bewohner. Dies stellt fest unter dem Oberbegriff Landscape as Nationalism Gutschow (1992, S. 8), obwohl dies in den „Kulturarbeiten” noch nicht so deutlich ausgesprochen wird. Von diesem Gedanken aus war es nur ein kleiner Schritt zu seinen späteren rassistischen Positionen. Doch zunächst ist Schultze-Naumburg durchaus als führender Vertreter der Reformbewegung um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu würdigen. Höchsten Einfluss wenigstens in Deutschland erlangte seine Buchreihe „Kulturarbeiten”, die in erster Auflage von 1901 bis 1917 erschien. Seine internationale Wirkung ist gering, sie beschränkt sich wohl auf die Nachbarländer Österreich und Schweden. Sein Werk wurde auch in der internationalen Forschung bisher kaum rezipiert. Lara Day (University of Edinburgh), die derzeit das erste größere Werk über ihn in englischer Sprache verfasst, stellt fest: He appears only peripherally in English language considerations of 20th century art/architectural history and is usually employed as an example of NS Gedankengut (Email vom 13.02.2013). Er verband damit die Absicht, der entsetzlichen Verheerung unseres Landes auf allen Gebieten sichtbarer Kultur entgegen zu arbeiten. So Schultze-Naumburg im Vorwort zur dritten Auflage der Kulturarbeiten 1927, vgl. Schultze-Naumburg (1928, S. 7). Sein umfassender Kulturbegriff wird hier schon deutlich, er verstand darunter alle Interaktionen des Menschen mit seiner Umwelt und kam so dem Kulturlandschaftsbegriff von Otto Schlüter sehr nahe. Mit den „Kulturarbeiten” schloss er an den programmatischen Titel seiner Streitschrift Schultze-Naumburg (1905) an. Sie bildete einen wesentlichen theoretischen Überbau des Konzeptes des „Bundes Heimatschutz (ab 1913 Deutscher Bund Heimatschutz)”, dessen erster Vorsitzender Schultze-Naumburg ab 1904 war.

In der Reihe erschienen 1915/16 als die Nummern 7-9 drei Bände unter dem Obertitel „Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen”, die er dann in der dritten Auflage 1928 an den Beginn der Reihe stellte, da dieser Betrachtungsansatz ihm am geeignetsten erschien, auf die Veränderung der Erdoberfläche durch die Kulturarbeiten der Menschheit aufmerksam zu machen. Er stellte fest, dass nicht ein Stück Erdoberfläche in Deutschland mehr so aussehen [dürfte], wie es vor der Kultivierung durch Menschenhand der Fall war, denn alles, was wir sonst um uns sehen, vom Forst bis zum Feld, von der Wiese bis zum Mühlenwehr ist Menschenwerk oder doch Natur, von Menschenhand gebändigt und verändert. Anders als der Geograph Schlüter, mit dem er trotz räumlicher Nähe anscheinend nicht im Austausch stand, und der diesen Veränderungsprozess analysieren und systematisch durchdringen wollte, zielte Schultze-Naumburg auf eine Bewertung der Ergebnisse dieser Kultivierung in ästhetischer, aber auch moralischer Hinsicht ab. Ihm ging es um die Harmonie des Menschenwerks mit der Natur und dessen Schönheit, woraus er einen Erhaltungsanspruch ableitete. Die höchste Harmonie war seiner Ansicht nach ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erreicht, als das ganze Land zu einem lachenden Garten umgestaltet gewesen sei. Dieser vermeintliche Idealzustand der Kulturlandschaft hielt in seinen Augen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts an, als die Industrialisierung diese Harmonie mit unangemessenen Eingriffen zu bedrohen begann (Schultze-Naumburg 1928c, S. 12f.) Paul Schultze-Naumburg (1869-1949) Sein landschaftliches wie auch architektonisches Leitbild bildete die Goethezeit, womit er in dieser Phase eines Neobiedermeiers um 1910 keineswegs alleine stand (Borrmann 1989, S. 12). Es lässt sich konstatieren, dass Schultze-Naumburg die Kulturlandschaft als Schutzgut entdeckt hat. Noch nicht in dem Sinne, wie es heute die UNESCO und auch die Antragsteller verstehen, als kulturelles Erbe, sondern als ästhetisch-pädagogische Qualität. Er selbst hat diese fundamentale gedankliche Leistung geschmälert, weil er die Entstehung der unterschiedlichen Kulturlandschaften auf den Charakter unterschiedlicher Völker oder gar „Rassen” zurückgeführt hat. Er trug damit wesentlich dazu bei, den ursprünglich kulturkonservativen Heimatschutzgedanken in Richtung einer xenophoben Ideologie zu pervertieren (Sauerländer 2000, S. 33).

Es ist eine Gratwanderung, bei dem bekannten Ausgang Bleibendes aus dem Werk Schultze-Naumburgs heraus destillieren zu wollen. Selbst seine frühen Landschaftsbilder der Saalelandschaft lassen sich im Hinblick darauf schon als gefährlicher Traum von der harmonischen Gestalt und als gemalte Heimatschutzideologie interpretieren. Sauerländer (2000, S. 36f.) streitet im Gegensatz zu Borrmann (1989) ab, dass man den frühen Lebensreformer vom späteren Kulturkämpfer trennen könne. Dagegen wiederum Hillmann (2011, S. 33), der seine Entwicklung von der Heimatschutzbewegung zum NS-Heimatstil nicht für zwingend hält. Auch ohne den ideologischen Hintergrund der stets drohenden „Entartung” kann seine Methode der Gegenüberstellung von schöner ist gleich guter und hässlicher ist gleich schlechter Architektur heute nicht mehr funktionieren. Dennoch darf festgehalten werden, dass er erstmals den Wert der kulturell geprägten Landschaft und die Notwendigkeit ihres Schutzes wie ihrer bewussten Weiterentwicklung erkannte und propagierte, eine Idee, die eben auch ohne rassistische Ideologie weiterwirken konnte. Kerbs (1999, S. 225), bezeichnet es als Pionierleistung, dass er Naturschutz und Denkmalschutz verband. Nicht auf die Natur pur und nicht auf die Architektur allein kam es ihm an, sondern auf historisch gewachsene Kulturlandschaft, in der sich beide zu einem harmonischen Gleichgewicht zusammenfinden. Entscheidend für ihre Tragfähigkeit bis heute war aber der Wandel von einer ästhetisch-pädagogischen hin zu einer historischen-kulturellen, und damit nachprüfbaren Bewertung der Kulturlandschaft, ein Wandel, der sich freilich langsam und erst lange nach Schultze-Naumburg vollzog. Die „Entdeckung” der „historischen” Kulturlandschaft erfolgt in Europa erst nach dem Aufschwung der Denkmalpflege im Gefolge des europäischen Denkmalschutzjahres 1975 zu Beginn der 1980er Jahre, zu den frühen Ansätzen Gunzelmann (1987, S. 50–60).

Zweifelsohne hatte zur Entwicklung seines kulturlandschaftlichen Ansatzes auch die heimatliche Landschaft um Naumburg beigetragen. Schon sein Namenszusatz, mit dem er sich aus der Masse der „Schultzes” herausheben wollte, zeigt die enge Verbundenheit mit der Region. Rudder (2010, S. 128) sah diese Landschaft als seine stärkste Prägung. Als er sich 1901 als Architekt und Publizist selbstständig niederließ, wählte er nicht München oder Berlin, wo er zuvor Malschulen geleitet hatte, als Wohnsitz, sondern Saaleck (Stadt Naumburg). Von vorneherein hatte er dabei den Anspruch, der an sich vollkommen fertigen Landschaft, die sich durch eine Herrlichkeit auszeichnet, wie man sie nicht allzuhäufig in Deutschland antreffe, einen qualitätvollen Baustein hinzufügen (Schultze-Naumburg 1927, S. 10). Er war sich auch der historisch-kulturlandschaftlichen Bedeutung dieses Platzes bewusst, verwies allerdings dem Zeitgeist entsprechend auf die Grenz- und Sperrfunktion und gleichzeitig auf die historisch-verkehrsgeographische Bedeutung dieses Platzes (ebd., S. 12f). Den Standort des oberen Gartenpavillons seines 1902 errichteten Hauses wählte er bewusst wegen des Blicks auf die Burgen Saaleck und Rudelsburg (ebd., S. 12; Borrmann 1989, S. 110f. u. 120). Drei seiner frühen, durchaus monumentalen Ölgemälde, das „Triptychon” (1895), „Saalelandschaft” (1899) und „Regenbogen” (1900) zeigen Saaleck und Rudelsburg und damit seinen späteren Wohnort. Ein erheblicher Prozentsatz seiner Beispielaufnahmen im Werk „Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen” stammt aus dem Antragsgebiet, wobei freilich festgehalten werden muss, dass er auch etliche Negativbeispiele aufgenommen hat. Aber in der Mehrzahl findet er positive Beispiele wie etwa die Weinberge bei Freyburg, die mit ihren phantastischen Häuschen so charakteristische Bilder ergeben, daß hier zum mindesten mit einigen Beispielen ihrer gedacht werden muß (Schultze-Naumburg 1928, S. 137f., Abb. 195-197). Auch die Neuenburg, die Schönburg und die Burg Saaleck werden als Beispiele der Akzentsetzung und der Einfügung in die Landschaft vorgeführt (ebd., S. 52–55, 96, 99, Abb. 81, 84, 86, 88, 163, 166). Sie dienen ihm später dazu, über die Symbolkraft dieser Burgen ein Idealbild der Thüringer und damit der deutschen Landschaft zu zeichnen. Darin zeigt sich, dass Landschaft immer auch das Bild der Landschaft im Kopf und damit nicht nur materielle Struktur der Erdoberfläche, sondern auch ein geistiges Konstrukt ist, das operationalisiert werden kann (Rudder 2010, S. 123). Dabei begann die Operationalisierung der mittelalterlichen Kulturlandschaft um Naumburg nicht erst mit Schultze-Naumburg. Sie setzt – wie an anderen vergleichbaren Orten in Deutschland – mit der Romantik ein und findet in dieser Zeit mit Franz Kuglers Franz Kugler, Kunsthistoriker (1808-1858), als einer der frühesten staatlichen Denkmalpfleger Deutschlands seit 1843 im preußischen Kultusministerium tätig. Er erwies sich schon lange vor Dehio als ein Vordenker des „Konservieren nicht Restaurieren”, vgl. Kugler (1850), dazu Grunsky (2007, S. 57). Er war nicht blind auf dem nationalen Auge, denn er wies in der Blütezeit der Auffassung von der Gotik als „deutscher Baukunst” deren Ursprung in Nordfrankreich nach, vgl. Binding (2000, S. 24). Auch er war wohl nicht unbeeinflusst von der Saalelandschaft.. zum Volkslied gewordenem Text von 1826 An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn (Originaltitel: Rudelsburg) ihren publikumswirksamsten Ausdruck. Schultze-Naumburg blieb es vorbehalten, sie als kulturlandschaftliches Leitbild herauszustellen und gleichzeitig nationalistisch zu deformieren.

Trotz dieser spezifisch deutschen Verstrickungen von Heimatliebe und Rassenwahn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich gerade auch im Antragsgebiet manifestieren, verdient es festgehalten zu werden, dass hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts die entscheidenden Schritte zum heutigen Verständnis von Kulturlandschaft getan wurden. Sowohl das inhaltliche Konzept wie auch die Auffassung von Kulturlandschaft als zu bewahrendem Wert wurden hier begründet.

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